Alpen bis Neapel
Hautes‑Alpes – Côte d’Azur – Toskana – Abruzzen – Vesuv – San Marino
September 1995
Start meiner zweiten Motorradtour – noch ohne Autozug – also Samstag fahr'n,
wenn alle fahr'n.
Fast am Ende des Tages wurde fast am Ende der [A5] bei Kandern das textile Mobilheim errichtet,
bevor Zöllner und Rhein bei Basel bezwungen wurden. Ein winzig kleiner
Autobahnabschnitt – illegal mautfrei – rächte sich darauf mit Disharmonie im
Sekundärantrieb. Ganz knapp mit neuem Kettenschloss veredelt, zuckelte der ansonsten recht brave
Yamaha-Muli am Bieler See vorbei nach Aventicum,
wo dunkle Wolken dem Amphitheater wahrlich kein volles Haus bescherten. Folgerichtig gab es auch
wenig Applaus für die Regennacht-Premiere bei Les Diablerets.
Mit jedem Millimeter zum Col de la Croix (1.778 m) drohte der Schneemann etwas mehr, aber ab Martigny trockener Belag zum Col du Grand St. Bernard (2.473 m). Vom Gran Paradiso-Basislager »Lo Stambecco« im Valnontey ging’s früh um 600 Uhr los zur – leider erfolglosen – Pirsch auf selbige gehörnte Sternzeichen. Mit Handschuhen vorbei an Murmeltieren Murmel, lat. Marmota immerhin 1 km höher auf der Sellahütte einen Auftau-Tee geordert und wieder ab ins Tal. Tags darauf achterbahn-like über den »kleinen« Col du Petit St. Bernard (2.188 m)…
…und dem mächtig hohen Col de l’Iseran (2.770 m) felsig-karg hinab zum Zeltplatz von Lanslevillard mit polarer Windgarantie. Der humide Overkill lauerte am Col de Mont Cenis (2.084 m), mit riskanter Nebelabfahrt nach Susa , daher sùbito weiter nach Briançon und rein in den Schlam(m)assel: Erdrutsch am Col d’Izoard (2.360 m)! Raus aus dem klebrigen Klei Erdrutsch am Col d’Izoard, rein in den superben Mercantour Nationalpark und (aus)schwärmen ab Barcelonette. Die erste Tour du Jour zielte zum imposanten Bergkegel Cime de la Bonette (2.862 m).
Nach Supermarché und Petit déjeuner ging’s gestärkt via Col d’Allos (2.240 m) skilift-gesättigt zum Fort de Savoie, einem der bulligen Bollwerke in Colmars. Masochistisch in Lederhose war der recht unkurze Marsch zum Lac d’Allos mit Panorama auf schmucke Felsen. Hattrick-komplett führte der Col de la Cayolle (2.326 m) am Tag trois zu den roten Gorges de Daluis mit grandiosen Halbspur-Tunnelblicken. Nur zu toppen durch die Rundtour ab Castellane um den Canyon du Verdon – inkl. Gepäckträger-Kollaps Bruch am Gepäckträger. Draht und Klebeband helfen immer.
Richtung Morgenland haben schlanke römische Hydro-Ingenieure hinter dem Vorzeige-Ort Mons das Aquädukt Roche Taillée versteckt. Ohne Dichtungen tropften daneben die überaus gelungenen Grottes de St. Cézaire. Nach Hot-Dog-»Haute Cuisine« am Lac de St. Cassien wurde der kulinarisch klingende Mont Vinaigre (614 m) erstiefelt. Gut besucht und bewachsen ein Omen für die Côte d’Azur (vgl. 2003) mit Camper-Bodenhaltung bei Agay. Dafür entschädigten Panorama-Kurven auf der Corniche de l'Esterel mit dem Jet-Set-Ziel Cannes.
Alternativ zu den Luxus-Liegestühlen an der Croisette cann(es) man sich eine goldene Palme kaufen. Also knauserig weiter, zwischen XXL-Werbung neben multiplen Fahrspuren. Links, mitte, rechts – machte Laune. Vom Fort du Mont Boron dann ein filmreifer Blick über die Dächer von Nizza. Autobesitzer Obacht – offensichtlich beginnen hier oben auch Kleptomanen-Karrieren. Überhaupt waren in Südfrankreich ganze Straßenzüge fürs gemeine Volk abgeriegelt. Ohne Sakko konnte Monaco dagegen ohne Vehikel-Bruchgefahr traversiert werden, dort war eh jeder cm² zugeparkt. Nach einer Nepp-Nacht unter Stoffbahnen bei Menton wurden rudimentäre Francs an einer suspekten Grenzbude gegen ein erstaunlich dickes Lire-Bündel getauscht.
In »Bella Italia« erfolgte der Sozial-Schock in Form von Slum-Silhouetten bei Ventimíglia. Dann direttissima zur Autostrada gen Genua mit tückischen Tunnel – volle Konzentration bergab zwischen LKW-Regenreifen. Lévanto fungierte als Einstieg zum fulminanten Cinque-Terre-Höhenweg. Mega-Ausblicke von der Klippenkante und unterirdisch per Bahn zurück. Vom farbenfroh ange- und überlaufenen Portovènere, vorbei am maritimen La Spézia ging die Sonntagssause in die Alpi Apuane – von der Toskana [ital. Toscana]-Fraktion gottlob völlig verschont.
Als trutziger Stützpunkt ward erkoren: Fortezza di Monte Alfonso in Castelnuovo di Garfagnana (reinste Lyrik). Vom waldigen Zeltboden erst mal in die windige Unterwelt der Grotta del Vento – meine Empfehlung! Als Sackgasse für höhere Wanderweihen erwies sich der Lago di Vagli in gar prächtiger Natur. Kultur der »teuflischen« Art überspannt den Fluss Sérchio vor Lucca: Ponte della Maddalena. Pisa mit seinem wahrlich erektil dysfunktionalen Wahrzeichen und massiver Besuchermeute wurde PISA-schlau schlicht links liegen gelassen.
Die »Strada di grande comunicazione [1]« stillte auch ohne viele Worte die Sehnsucht nach Sonne und Meer. Hinter Grosseto war die Fast-schon-ganz-Insel Monte Argentário mit zwei Nabelschnüren (»Tómboli«) am Festland fixiert – mit freier Auswahl an nachsaisonalen Nachtlagern. Hurtig hoch zum Il Telégrafo, mit 635 Metern dummerweise ein guter Wolkenfänger. Ein Hingucker dagegen die Moto-Ronda ab Porto Santo Stéfano zu den Klippen im Süden und dem Schotter-Finish zum wehrhaften Porto Ércole mit seinem Forte Filippo.
In Orbetello, mittenmang in'ne Lagune, noch schnell einige Vorräte für die Zelt-Kombüse gebunkert und weiter ging der Toskana-Törn. Bei aller Liebe zur Lieblich-Landschaft von studierten Schöngeistern: Erst in Randlage zum Latium begeisterten die Ziegel-Zunft-Zeugnisse Pitigliano und auch Sorano, welches nach tiefem Schlaf am tiefen Tümpel Lago di Bolsena angefahren wurde. Der ausbaldowerte Besuchsplan der italienischen Einzelberge zielte viele Kurven weiter im Norden zu verdächtigen Skilift-Symbolen auf der Landkarte.
Dazu cineastischer »Nebel des Grauens« am kahl kultivierten Monte Amiata (1.738 m) – trotzdem wurde der lichte Liftpfad Richtung Gipfelbudenzauber angegangen. Orient-orientiert ging’s über das mächtige Montefiascone mit dem Rocca dei Papi als Bolsena-Belvedere nach Terni. Trockenzeit-Trübsal dann am Rinnsal Cascata delle Mámore, dafür gab’s ein Italo-Hot-Dog mit würziger Wurst in netter »Atmo«. Auch ohne Wanderwille herausragend war der Monte Terminillo (2.216 m), nebst nachtkaltem Eremitage-Blick auf das iluminierte Rieti.
Nach uferloser Uferkurverei um den Salto-Stausee und einem Autostrada-Intermezzo weiter zum
nächsten »Milestone« – dem Abruzzen Nationalpark, wo noch der Bär los sein
sollte. Das Nachtlager wurde abär ohne Bärenfell am BärBarreasee aufgeschlagen.
Eine Guiness-Buch-verdächtige Tagestour führte den verkappten Vulkanologen vorbei an üppiger
Gebirgsvegetation und üppigen »Anhalterinnen« zum Vesuv (1.277 m). Chaos und Kultur in und um Neapel wurden bereits zu Interrail-Zeiten 1985
beäugt, es fehlten noch die Fumarolen am XXL-Krater.
Noch einen leicht wehmütigen dunstigen Blick vom südlichsten Punkt der Reise auf den Mega-Moloch und ab zur [A1] Richtung Abbazia de Monte Cassino inmitten blutgetränkter Erde von 1944. Geniale Kehrenaufahrt, aber Busse und Parkplatz-Raffkes in massa vor der Abtei-Replica, also Rückzug zum Abruzzen-Pass Forca d’Ácero (1.535 m) mit herrlichen Traversen in der Abendsonne. Das Kalkül, bei L’Áquila die Gran Sasso-Seilbahn zu testen, ging kalt/kühl nicht auf – leider geschlossen (war klar). Somit Tunnel-Frust, unheimliche 10 km lang.
Das Licht am Ende des selbigen leuchtete letztendlich bei Rímini (war das nicht mal…) Richtung San Marino heim. Atemberaubend tiefer Blick vom Monte Titano (756 m) mit den Tre Torri, dem pentagonalen Burgentrio Fratta, Guaita und Montale. Der Ansturm auf die 61 km²-Enklave inklusive Kitsch-Buden im September erträglich, der Rímini Teutonengrill am Morgen total leer.
Leider auch meine Kettenspraydose. So musste der Teufel in der Not etwas Motoröl einsetzen, ging’s doch hinter der höllisch schwülen Lagune von Venedig wieder himmlisch hoch in die Dolomiten zum Kreuzbergpass (1.636 m). Kleine Umweltsünden werden sofort bestraft – bei einem Fotostopp am Straßenrand versank der Feuerstuhl vor Sch(l)am(m) im Boden. Doch das textile Nachtlager in Toblach mit bewährter Sanitär-Ausstellung machte wieder putzmunter zur finalen Einspur-Bergetappe mit Ampel zum Staller Sattel (2.052 m) .
Dort oben herrschte harsches Pudelmützen-Wohlfühlwetter, also Maßnahme 'K' (wie Kälte) einleiten! Die schneegefährdete Heimkehrer-Route führte via Felbertauerntunnel und Gerlos in der Maut-Variante Filzsteinalpe (1.628 m) an den höchstbekannten Krimmler Wasserfällen vorbei. Nach seitlichem SightSeeing von Achen- und Tegernsee bettete der Beladene sein müdes »Haupt« letztmalig im Altmühltal. Obwohl ein diebischer Frottee-Fetischist die Achslast um ein Handtuch erleichterte, wurde die Camping-Idylle langwierig langweilig gen herbstlicher Heimat Nordheide verlassen. Σ = 6.300 km.