Alpen bis Tarent
Wallis – Vicosee – Abruzzen – Amalfi‑Küste – Policastro – Gargano
September 1996
Motorradtour, die Dritte – noch immer ohne Zughilfe…
Somit mal wieder 27 PS-Autobahn-Tortur, grob Richtung Stuttgart und Premieren-Zeltnacht in
Stühlingen – meteorologisch eher ein Reinfall, aber topografisch günstig wg. Mindestabstand
zur Schweiz . Folglich gab es tosenden Beifall am Folgetag für den
Rheinfall bei Schaffhausen, zudem bei Sonnenmangel angenehmer
Besuchermangel. Hydrophob ging’s dann weiter nach Zürich – dort Verstoß gegen den
Biker-Stabilitätspakt durch die üblich-üblen Straßenbahnschienen. Auch wurde die Seesuche zur
Sehnsucht, weil man den See nicht sehen kann (bitte nochmal lesen). Nach dreimal falsch abbiegen
konnte auch dieses Bank-Geheimnis gelöst werden.
Zum Sitzen und Jauseln an der Waterkant war es leider zu humid, also gleich ohne Maut via [4] [25] [2] am Zuger- und Urner Seeufer ins alte Altdorf, wo Apfelgegner Wilhelm Tell martialisch zur Schau gestellt wurde. Nicht gerade pfeilschnell schlängelte sich eine Lawine aus Blech durch die dezibellastig-verschalte Schöllenenschlucht, wo schon der Teufel eine sagenhafte Bogenbrücke baute. Apokalyptische Wolken am Furkapass (2.431 m) mit weniger Verkehr und Eis am Rhonegletscher. Ab Basislager Brig starteten dann zwei Polar-Expeditionen:
Zuerst serpentinal von Sion zu den Fels-Pyramides d’Euseigne, danach ohne Klage zur Mauer Barrage de la Grande Dixence – schwindelerregendes Staunen über 284 Meter Stauhöhe, leider Null Meter Sicht. Tag Zwei gehörte der Mattmark-Seerunde hinter Saas Fee. Zum Monte Moropass ohne Polarfuchsmantel? No Way! Ausgleichend hatte der sensible Allalingletscher mal wieder knackigen Brechreiz.
Der Exodus aus dem winterlichen Wallis erfolgte via Simplonpass (2.005 m) und Gondoschlucht runter nach Domodóssola , um »direttissima« bei tessiner Temperaturen das malerisches Maggiatal zu erklimmen. Fast 50 grandiose Kilometer schraubt sich der Weg von der Luftmatratze in Gordévio hoch zum Lago di Narèt (2.310 m). Beim 360°-Alpin-Augenschmaus verstiefelte sich Luis Trenker II unbeschildert nur leicht. Dafür gab’s keine Probleme, auch ohne Opel von Ascona nach Verbánia zur Lago Maggiore-Fähre zu gelangen.
Nach großzügig-großspuriger Mailand-Umgehung lockte südlich von Módena der grandios-grüne Alto Appenino. Als Zeltunterlage prädestiniert war Séstola mit trutzigem Castello und dem Skiberg Monte Cimone (2.165 m). In alter »Tradition« war die Seilbahn dicht, dafür pittoreskes Picknick-Patchwork und Anglerlatein am Lago di Ninfa. Die Asphaltpiste ab Pistóia leitete kurz hinter der schmucken Silhouette von Orvieto in den Parco dei Mostri bei Bomarzo – ein steinernes Stelldichein von Monstern und Mutationen im »Heiligen Wald«.
Malerisch gelegen kam der Zeltplatz am Vulkansee Lago di Vico (innen), Proviant gab’s in Caprarola (außen). Neben sonnigen SightSeeing-Runden als Kultur-Hattrick im antiken Angebot: 1.) Teatro Romano von Férento – leider mit Archäologenzaun – nördlich von Viterbo mit seinen mediävalen Stadtmauern ausgebuddelt. 2.) Anfiteatro Romano, geschichtsträchtig im südlichen Sutri aufgeschichtet. 3.) Falérii Novi, feine feste Mauern – wer suchet, der findet. Letztere Leitlinie galt auch für die »vielen Wege« nach Rom, historisch korrekt z.B. die »Via Cassia«.
Umringt vom »Grande Raccordo Anulare« ist auch nicht »rein« das Problem, sondern »raus« Richtung Villa Adriana. Dafür grünes Licht für Biker bis zum oberen Parkplatz – schattig und sicher. Nicht umsonst UNESCO-prämiert, begeistert u.a. der Hadrian'sche Canopus-Kanalnachbau, ägyptisch ächt mit Krokodil und dem Serapis-Tempel. Kulturell gestärkt wurden erneut die bärigen Abruzzen angesteuert, aber nach einer Potz-Blitz-Nacht war auch der einsame trotzige Aufstieg zum Refugio Belvedere (1.437 m) ohne AusSicht auf Erfolg.
Wahrlich kein Bär im nassen Pelz los – somit das Zeichen, auf bewährten Pfaden den Golf von Neapel anzudümpeln. Sonderprüfung: Im mächtigen Castellammare die putzige Passpiste zum Monte Faito (1.131 m) finden. Nach mahnenden Worten („piano“) des Mautnehmers konnte motorgestützt auf- und zum kolossal klippal gelegenen Sorrento abgestiegen werden. Dort kein Zelt-Wart-Warten auf Godot und später Seitenwechsel zum postkarten-konformen Positano. Grober Fehler – die »Amalfitana« gilt als langbahniger Kurvenstar.
Trotz verzweifelt finsterer Fahrtechniken endete die Extra-Tour hundemüde an der hinterletzten Zeltlaterne irgendwo bei Paestum mit seinem Neptun-Tempel als Kultur-Knaller für Säulen-Sektierer. Einige Touristen-Rudimente am Strand von Agrópoli, wo die Souvlaki- und Bifteki-Kenner auf die »hohe Stadt« mit Castello blickten. Südlich dieser »Perle des Cilento« folgte dann die Steig(er)ung zur Madonna di Novi Vélia (1.705 m) mit ihren Picknick-Pilger-Pulks in allerbester Wallfahrtslaune. Göttlich der Golf von Policastro inklusive Cristo Redentore (22 m).
Der getünchte Fuß – übrigens orthopädisch inkorrekt nur einer – fußt auf dem Monte San Biágio (624 m) bei Maratea. Erreichbar von Sapri über eine Corniche der Extraklasse mit Bergankunft auf monströs gestelzter Billigbeton-Trasse. Eine XL-Rotonda umrundete den Monte Sirino (2.005 m). Vieh und Frosch gründelten gründlich in grüner Grütze. Der Lago Laudemio war einfach ausgedrückt am Rande der Eutrophie. Kleine Camper-Warnung zum Schluss: Besser die Sitzbank abdecken – heimische Vogelverbände flogen hier tägliche Guano-Attacken.
Kalabresische Küstendomizile bis runter nach Scalea, wo sich die [504] am wild-wässrigen Grande Gola del Lao in den Pollino Nationalpark schraubte. Dort Almödi-Atmo und Pfadfindung zum ruinösen Passabzweig Il Fortino (1.083 m). Leider war der weite Blick vom Col di Dragone (1.606 m) auf den Namensgeber Monte Pollino (2.248 m) wolkengetrübt. Vom Colle dell’Impiso (1.573 m) führte alsbald die [653] im kühnen Bogen zum Lido di Metaponto am Ionischen Meer. Kaum noch offene Zeltplätze – dafür gab’s morgens fette Gratis-Käfer im Stiefel.
Regenwolken und raffige »Koberer« vor den mickrigen Metapontum-Ruinen der Exil-Griechen forcierten meinen Exodus nach Tarent mit lieblicher Agip-Raffinerie und Slum-Silhouette. Nett dagegen eine Verkehrskontrolle am Capo San Vito mit zwei »Carabinieri« in typischen Zirkus-Streifenhosen und ihren Staunen über das seltene germanische Gefährt („nixe caputt?“). Endlos einsam nach Saisonende dann die Seewindsause zum »Stiefelabsatz« Punta Rístola, wo auch die Adria an den Klippen nagte. Zelt-Zuhause war bei San Cesárea südlich von Ótranto.
Nahe Lecce lenkte die [605] zur »Città Bianca« Ostuni, gefolgt vom UNESCO-Zipfelzonen-Ziel rund um Alberobello, wo sich unzählige uneckige Trulli-Bauten Trulli-Rundbau tummelten. Angrenzendes fulminantes Lowlight waren die grandiosen Grotte di Castellana mit Kuppelloch à la Indiana Jones. Nun hurtig auf der [A14] an Bari vorbei zum »Stiefelsporn« Gargano mit textilem Schlafgemach bei Manfredónia. Der Folgetag führte den Stahlzossen 850 Meter hoch ins malerische Monte Sant’Angelo, waldig weiter durch schattigen Foresta Umbra und wieder abwärts nach Pèschici in absoluter Traumlage.
Ungewöhnlich der Weg nach Westen über die – selbstredend enge – Landenge l'Isola zwischen Adria und Lago di Varano. Fernab jeder Hektik am Pausen-Punkt bei einem Castello nahe San Menáio lagen fernab die Trémiti-Inseln. Laut eingezwängt zwischen Schiene und Straße war dagegen der wahrscheinlich schmalste Zeltplatz der Welt bei Silvi hinter Pescara. Schlimmer noch der Batteriepegel am Morgen: Nichts, Nada, Niente, Nullinger! Aber ein fremdes Startkabel sei Dank – auf zum rettenden »Aqua Destillata« an die nächste Tanke.
Die Yamaha lief und lief via [A14] [A1] [A22] [A4] nach San Felice del Benaco am – nicht nur innen feuchten – Gardasee. Dafür gab’s eine trockene Traghetto-Traverse von Maderno nach Torri del Benaco mit Osterweiterung Brenner-Autobahn (*biker-schäm*) . Gesetzt gesittet danach über Seefelder Sattel (1.185 m) und hübsch mautpflichtig zum Sylvenstein-Stausee . Nach kurzem Schlafsack-Stopp im Altmühltal folgte eine kurze Schrecksekunde kurz vor Würzburg: Kettenriss Böse Kettenreaktion – Glück gehabt, noch dazu kurz vor einem Parkplatz. Also Kette mit Ersatzschloss verbunden und verklemmten Antrieb brachial entbunden. Das war's – fast 7.000 km – mein lieber Schwan Schwan am Gardasee !